Probieren geht über Studieren: Wie Studienabbrecher*innen dem Fachkräftemangel entgegenwirken können
11.12.2024
Bis zu 30 Prozent aller Studierenden brechen ihr Studium ab. Doch ist ein Studium ohne Abschluss tatsächlich eine Fehlinvestition? Ein DZHW-Forschungsüberblick macht nun deutlich: Studienabbrecher*innen fehlen zwar die Zertifikate, aber nicht unbedingt die Kompetenzen. Ein Perspektivwechsel kann dazu beitragen, diese Kompetenzen besser zu nutzen, und darüber hinaus einen Impuls geben, ob Bildung in Zeiten knapper Arbeitskräfte nicht neu gedacht werden muss. Der heute veröffentlichte DZHW Brief legt dar, warum Studienabbruch bisher als Problem wahrgenommen wurde, und zeigt auf, dass das nicht so bleiben muss. Dabei gibt er auch wichtige wissenschaftliche Impulse für die Fachkräftedebatte.
Hannover, 11.12.2024. In Deutschland brechen bis zu 30 Prozent aller Studierenden ihr Studium ab und verlassen die Hochschule ohne Abschluss. Politik und Wissenschaft sehen dies bisher überwiegend als Problem: Der Fachkräftemangel werde verschärft, die in Bildung investierten Gelder müssten abgeschrieben und Studienabbruchquoten daher gesenkt werden.
Grundlage für diese Bewertung sind Studien, die zeigen, dass Studienabbrecher*innen ein geringeres Einkommen haben als Absolvent*innen. Der ausschließliche Blick auf diese monetären Kennzahlen verdeckt aber, dass das eigentliche Ziel von (Hochschul-)Bildung der Erwerb von Kompetenzen und Fähig-keiten ist, die sich erst im zweiten Schritt auf dem Arbeitsmarkt auszahlen.
Hier zeigt die Forschung, dass auch in einem Studium, das ohne Zertifikat beendet wird, wertvolle Lernerfahrungen gemacht und Kompetenzen erworben werden. Da Zertifikate aber die Funktion haben, diese Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt sichtbar zu machen, ist es für Arbeitgeber*innen schwer(er), das Können von Studienabbrecher*innen zu erkennen. Eine negative Sicht, die Studienabbruch vorwiegend als Problem betrachtet, kann es Abbrecher*innen zusätzlich schwer machen und eine Teilerklärung für die bisher ausgebliebenen Einkommensvorteile sein. Eine positive Sicht, die Lernerfahrungen per se anerkennt, kann demnach den Arbeitsmarktzugang erleichtern.
In Teilbereichen des Arbeitsmarktes ist das bereits zu beobachten: Studien konnten zeigen, dass Studienabbrecher*innen aus Sicht von Ausbildungsbetrieben durchaus Kompetenzvorteile gegenüber Abiturient*innen haben – und dadurch in Teilen auch bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Dr. Fabian Trennt, einer der Autor*innen des DZHW Briefs, verdeutlicht: „Es kommt also auch auf die Vergleichsgruppe an und mehr Bildung lohnt sich demnach auch ohne Zertifikat.“
Da sich die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt zurzeit schnell ändern, stellt sich die Frage, ob in einer stärkeren Anerkennung von Studienerfahrungen ohne Zertifikat nicht auch eine Chance liegt, dem Fachkräftemangel schneller und nachhaltiger entgegenzuwirken: „Denn die erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten von Studienabbrecher*innen sind allgemein anstatt berufsspezifisch und in vielen Bereichen nützlich“, betont Dr. Johann Carstensen. Unser Impuls zielt also darauf ab, auch das Verhältnis von allgemeinerer zu spezifischerer Bildung in allen Schattierungen zu beleuchten. So fördert die berufsspezifische Ausbildung in Deutschland ein Expertentum, während ein auf Allgemeinbildung und On-the-Job-Training ausgelegtes System wie in den USA eher zu Generalist*innen führt. „Das fördert die Kreativität, und dieses Potenzial kann, mit Offenheit auf Seiten der Arbeitgeber*innen, eine zusätzliche Stellschraube sein, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“, ergänzt Dr. Frauke Peter.
Der DZHW Brief 03 2024 ist zu finden unter https://doi.org/10.34878/2024.03.dzhw_brief